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»Runter vom Baum!«

Ein Gottesdienst zum dritten Sonntag nach Trinitatis 2020 aus Crölpa-Löbschütz
für die Onlinekirche Camburg zum Anschauen, Hören, Lesen, Mitfeiern und Weitergeben

»Runter vom Baum!«

Ein Gottesdienst zum dritten Sonntag nach Trinitatis 2020

aus  Crölpa-Löbschütz  für die Onlinekirche Camburg

 

Geläut der Crölpa-Löbschützer Glocke

 

Votum, Wochenspruch und Begrüßung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen

 

»Der Menschensohn ist gekommen,

zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.«

(Lukas 19,10)                       

 

So steht’s geschrieben bei Lukas im neunzehnten Kapitel.

Seid willkommen zu unserem Onlinegottesdienst.

 

Heute sitze ich mal in der Dorflinde von Crölpa-Löbschütz.

Nein, ich kann nicht gut klettern, konnte ich noch nie,

und inzwischen erst recht nicht mehr.

Aber ich mußte hier hoch.

Ich hab halt eine Leiter genommen.

 

Aber ich sitze hier nicht allein.

Ich sitze hier mit Zachäus.

 

Hört selbst.

 

Lesung:

Und Jesus ging nach Jericho hinein und zog hindurch.

Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus,

der war ein Oberer der Zöllner und war reich.

Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre,

und konnte es nicht wegen der Menge;

denn er war klein von Gestalt.

Und er lief voraus

und stieg auf einen Maulbeerbaum,

um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen.

 

Orgelstück (»Preaambulum in d« – Heinrich Scheidemann)

 

Predigt

Der Mensch im Baum.

 

Zachäus in seinem Maulbeerbaum.

Ich in der Dorflinde in Crölpa Löbschütz.

 

Ich sag Euch jetzt mal ein Gedicht auf.

Ein böses Gedicht:

 

»Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.

 

Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht genau noch derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.

 

Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.

 

Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.

 

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
Den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.«

 

Ein bitterböses Gedicht, oder?

 

Geschrieben vor achtundachtzig Jahren von Erich Kästner.

Noch vor dem Naziterror,

noch vor der Atombombe,

noch vor dem Internet –

und längst bevor die braune Brut heute wieder

schamlos ihr Gesicht erhebt.

 

Ein bitterböses Gedicht.

 

Und deshalb berührt es mich so.

 

Bei aller Zivilisation:

Am Ende sitzen wir noch in den Bäumen.

Viel hat sich nicht geändert.

Schaut nur mal ins Internet und auf die Straßen.

Da brüllen sie noch heute herum, wie damals im Urwald.

 

Mensch bleibt Mensch, und Zachäus ist einer von uns.

 

Manche nennen ihn Betrüger, andere einen Egoisten.

Kann man machen.

Aber ich glaube, das stimmt nicht.

 

Zachäus ist völlig normal.

Ein Mensch unter Menschen.

 

Ich nenne ihn einen Bruder. —

 

Ich schau hinüber nach Jericho.

Da sitzt Zachäus auf dem Maulbeerfeigenbaum.

 

Ich rufe hinüber:

»Was willst Du da eigentlich, Bruder Zachäus?«

 

Der ruft zurück:

»Ach, ich bin einfach neugierig.

Jesus soll hier durchkommen.

Mal seh’n, wie der so ist.«

 

Und da sitzen wir nun. Und warten.

Und dann kommt Jesus.

 

Lesung

Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm:

Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muß heute in deinem Haus einkehren.

 

Predigt

Das überrascht.

Damit hat der Zachäus nun nicht gerechnet.

Er war nur neugierig, wollte Jesus halt mal sehen.

 

Aber er hatte nicht mit Jesus gerechnet.

Der hat nämlich den Zachäus gesucht.

Und Euch. Und mich.

 

Jesus sucht.

Jesus sucht immer.

Jesus sucht Menschen.

 

Er sucht die ganz normalen Menschen.

Wie sie nun einmal sind.

Zachäus und Euch und mich.

 

Egal, auf welchen Bäumen wir sitzen.

Da richten wir uns nämlich ein:

Auf den Bäumen, wo wir sind, wo wir immer schon waren.

Normal halt.

 

Jesus schaut hoch in die Bäume.

Da, wo wir uns verstecken.

Im Laub und in den Astgabelungen des Lebens –

da ist alles ganz normal und wie es immer schon war.

 

Da sagt Jesus: Kommt runter.

Kommt runter von Euren Bäumen.

Heute will ich in Euer Haus.

 

Lesung

Und Zachäus stieg eilend herunter und nahm Jesus auf mit Freuden.

Als die Frommen das sahen, murrten sie alle und sprachen:

Bei einem Sünder ist er eingekehrt.

 

Predigt

Zachäus ist runtergekommen.

Runter vom Baum. Rein ins Leben.

 

Manche meckern darüber:

»Der Zachäus, so ein Normalo. So ein Sünder. Und zu dem kommt Jesus?«

 

Jesus schüttelt nur den Kopf darüber.

Und er denkt: Ihr seid die viel größeren Normalos.

Ihr sitzt immer noch auf Euren Bäumen und wollt da bleiben.

 

Dann ist Jesus bei Zachäus am Tisch.

Sie sitzen zusammen.

Essen und trinken und sind einander nah.

 

Und da hat es irgendwie geknackt.

 

Lesung

Zachäus aber ging zu Jesus und sprach zu ihm:

Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen,

und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.

 

Predigt

Wir frommen Christen werden vielleicht sagen:

Ist doch normal.

 

Ich weiß es nicht.

 

Ist nicht das Andere normal?

Ist nicht das normal-Sein normal?

Einfach so sein, wie der Mensch halt ist,

versteckt auf den Bäumen,

ein bißchen nett und ein bißchen egoistisch

und unseren primatischen Vorfahren sehr ähnlich?

 

Und der Zachäus:

Ist der jetzt nicht eigentlich unnormal –

jetzt, wo Jesus ihn runtergeholt hat?

 

Auf den Boden …

in sein Haus …

auf den Boden … nicht der Tatsachen …

nein! Auf den Boden der Liebe?

 

Lesung

Jesus aber sprach zu Zachäus:

Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Sohn Abrahams.

Denn auch der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.

 

Predigt

Heute ist diesem Hause Heil widerfahren.

 

Erstmal dem Haus des Zachäus.

Jesus hat gesagt: Komm runter, ich muß in dein Haus.

 

Und so hat Zachäus es gemacht.

Runter vom Baum, rein ins Haus.

Ins Leben mit Jesus.

 

Deshalb bin ich jetzt auch wieder unten.

Und ich gehe dann mit Jesus nach Hause.

Der will heute in meinem Haus einkehren.

Und in euren auch.

 

»Heute ist diesem Haus Heil widerfahren.«

 

Meinem Haus. Und Euren Häusern.

Und jedem Haus, wo man an Jesus glaubt.

Amen.

 

Und wenn jetzt die nächste Musik kommt,

dann zeigen wir Euch ein paar von Euren Häusern.

Vielleicht entdeckt Ihr ja Euer eigenes.

 

Orgelmusik (»Meinen Jesus laß ich nicht« – Carl Piutti)

 

Gebet

Jesus, hol uns runter …

hol uns runter von unseren hohen Rössern,

wenn wir denken, wir wissen alles und können alles

und sind besser als die anderen.

 

Hol uns runter auf den Boden der Welt.

Deiner Welt.

Daß wir die Not sehen und helfen, wo wir können.

 

Hol uns runter zu Dir.

Wo Du auf uns wartest.

Hilf uns, daß wir mit Dir gehen.

 

Hol uns runter und komm in unsere Häuser.

Auf daß und Heil wiederfährt.

 

Dir sei Ehre in Ewigkeit.

Amen.

 

Vaterunser

Gemeinsam beten wir mit den Worten Jesu:

 

Vater unser im Himmel.

Geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute

und vergib uns unsere Schuld

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn Dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

 

Sendungswort und Segen

So bleibt bewahrt in Gottes Liebe, in seinem Frieden, mit seinem Segen.

 

Der Herr segne dich und behüte dich.

Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig.

Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir + Frieden.

 

Orgelmusik (»Allemande« – Johann Herrmann Schein)

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