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»Deutsches Sofa – Deutsche Einheit«

Eine Predigt zu »30 Jahre Deutsche Einheit«

am 3. Oktober 2020 in der St. Wenzelskirche Naumburg.
Mit Worten aus der Weisheit Salomos, 11,22-12,1.

»Deutsches Sofa – Deutsche Einheit«

Eine Predigt

zu »30 Jahre Deutsche Einheit«

am 3.10.2020 in der St. Wenzelskirche Naumburg

 

Text: Weisheit 11,22-12,1 i.A. (als Schriftlesung gelesen)

 

Gott, die Welt ist vor dir wie ein Stäublein an der Waage

und wie ein Tropfen des Morgentaus, der auf die Erde fällt.
Aber du erbarmst dich über alles;

denn du hast Gewalt über alles,

und übersiehst der Menschen Schuld,

daß sie sich bessern sollen.

Denn du liebst alles, das da ist,

und hassest nichts, was du gemacht hast;

denn du hast ja nichts bereitet, dagegen du Haß hättest.

Wie könnte etwas bleiben, wenn du nicht wolltest?

oder wie könnte erhalten werden,

was du nicht gerufen hättest?

Du schonst aber aller; denn sie sind dein, o Herr, –

du Liebhaber des Lebens.

 

 

Die Gnade unsers Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

 

I. Novembergeschichten

Am 9. November 1989 lag ich auf meinem Sofa.

So gegen 20 Uhr, ich hatte Abendbrot gegessen.

Dann noch ein wenig Radio hören.

 

Da kam das mit der offenen Grenze.

Irgendwie verwirrend alles.

Ich bin dann einen halben Kilometer gelaufen

zum nächsten Münzfernsprecher bei der alten Post

und habe mit meinen Eltern telefoniert.

Das klang alles irgendwie nach einer neuen Reiseregelung.

Nichts war klar.

Dann bin ich wieder in meine Studentenbude,

Dompredigergasse 13, genau gegenüber dem Dompfarrhaus,

wieder aufs Sofa, und dann ins Bett.

Ich war keiner von denen,

die noch in derselben Nacht über die Grenze sind.

Ich hab es schlicht erst später verstanden.

Und ich wär’ auch nicht sofort losgefahren.

Womit auch?

Und ehrlich gesagt:
So sehr hat’s mich auch nicht in den »Westen« gezogen.

 

Und ja. Ich fange mit dem 9. November 1989 an.

Nicht mit dem 3. Oktober 1990.

Da saß ich auch wieder auf einem Sofa.

Nicht auf meinem.

Auf einem anderen, bei Freunden, vor dem Fernseher.

Denn was vor 30 Jahren geschah …

und was längst nicht vollendet ist …

das fing nicht am 3. Oktober 1990 an,

sondern lang vorher,

auch schon lang vor dem 9. November 1989.

 

Da ist Freiheit gekommen.

Man hat sie einsickern hören in die Krusten der Welt.

Ich glaube, das war Freiheit von Gott.

Doch davon später mehr.

 

Erstmal will ich Euch von meinem Sofa predigen.

 

II. Sofageschichten       

Ich hab’ es noch und ich will es behalten.

Es ist wohl über hundert Jahre alt.

Als meine Mutter ein Kind war,

in den zwanziger Jahren, da war es schon da.

In der »Guten Stube«.

Und es war rot, mit Samt und plüschig

und mit lauter Troddeln und Quasten unten am Rand.

Ein Sofa der Kaiserzeit.

 

Und dann haben meine Großeltern etwas Komisches gemacht.

Es waren die »Dreißiger Jahre«, Nazizeit,

und nein, meine Großeltern waren keine Nazis,

sie haben sich in der Kirche scharf

mit den sogenannten »Deutschen Christen« auseinandergesetzt,

bis hin zur Lebensgefahr.

 

Aber ihr Sofa haben sie umgebaut.

Für mich völlig unverständlich.

Sie haben die schönen, gedrechselten Beine

und die Lehnen absägen lassen,

stattdessen klotzige, häßliche Füße und kantige Lehnen –

ohne jede Ästethik,

und auf die Polster kam ein harter Bezug,

der war ganz grau mit rotbraunen Karos,

die waren etwas vertieft.

Als Kind habe ich die immer mit dem Zeigefinger ausgetastet,

Irgendwie waren meine Großeltern dann doch

dem Zeitgeist erlegen:

Schlicht, klar, grau – »Gelobt sei, was hart macht«.

 

So hab’ ich mein Sofa kennengelernt. Und lieben gelernt.

Es war das Sofa meiner Kindheit.

Sonntagnachmittag mit der Mutter daraufliegen

und »Augsburger Puppenkiste« kucken.

Das war schön.

 

Später bin ich dann studieren gegangen. 1987.

Nach Naumburg.

Mein Vater kannte einen Polsterer.

Und meine Eltern meinten es gut mit mir

und wollten mir das Sofa mitgeben.

Damit ich es schön habe.

 

Jetzt wurde es ein anderes Sofa.

Da hat es neue Polster bekommen und neue Federn

und einen neuen Bezug – typischer DDR-Style.

Sehr blumig und dunkelbunt.

 

So hatte ich es. –

In meiner Studentenwohnung haben wir darauf gesessen

und Bier getrunken

und mittags haben wir dann als Jungverheiratete

darauf gekuschelt und Mittagsschlaf gemacht.

 

Inzwischen ist es sehr abgewetzt.

Und steht doch heute noch bei mir.

Die Kinder sind erwachsen

und wir sind in die Jahre gekommen.

Und die Deutsche Einheit auch.

 

Dreißig Jahre Deutsche Einheit

und das Sofa steht immernoch bei mir im Haus.

Ich will es behalten.

Das Sofa aus der Kaiserzeit,

das zwischendrin so nazimäßig umgebaut wurde;

und das heute noch so steht, wie am 9. November 1989,

als ich diese merkwürdige Nachricht hörte,

die Grenze sei offen,

und das den 3. Oktober 1990 gelassen überstanden hat.

Es ist halt ein wenig abgewetzter.

Und hat so manches Loch und manchen Riß.

Halt ein bißchen wie unser Land.

 

III. Unterscheidungsgeschichten

Am 4. November 1989 haben meine Eltern – und ich – geweint,

als die große, umstrittene Demonstration aus Berlin live übertragen wurde –

sogar im DDR-Fernsehen – wir haben natürlich »Westen« geschaut.

Und mein Vater sagte: »Das ist Gottes Handeln in der Geschichte«.

Ich sah das damals kritisch. Und andere auch.

Wenn Geschichte sich ändert, wenn dramatische Umbrüche geschehen –

oder wenn sich Veränderungen langsam einschleichen:

Ja, es kann Gottes Hand sein.

Oder eben auch nicht.

Woran kann ich das unterscheiden?

Manche denken ja, all die Rechtsrucke in der Welt

und in unserem Land, das wäre auch Gottes Hand.

Und manche, die das denken, halten sich für besonders fromm.

Ist es aber nicht. Und sie sie aber nicht.

 

Und ich weiß auch warum.

Was im Herbst 1989 geschah,

das war eine Freiheit von Gott.

 

Den 3. Oktober 1990,

den haben sich die Regierenden von damals

als Orden an die Westen geheftet.

Das war schon unter dem Strich alles richtig,

und ich denke, sie haben gemacht, was damals möglich war,

und sie haben es so gut gemacht, wie sie konnten.

Da ist Weltgeschichte geschehen, und wir waren dabei.

 

Es ist ganz gut, wie es gekommen ist.

Trotz aller Probleme und aller Fehler,

trotz aller Schuld auch auf dieser Geschichte.

 

Aber laßt uns noch einmal aufs Unterscheiden kommen:

Wie ist das nun mit Gottes Hand in der Geschichte – und mit unserer?

Ich bin ja eigentlich immer nur der Beobachter auf dem Sofa.

 

Ich merke eines.

Gott hat sein Volk Israel aus der Knechtschaft Ägyptens befreit.

Und dann kommt eine lange Geschichte:

Mit Krieg und Streit und Hilfe und Rettung.

Und immer wieder befreit Gott sein Volk Israel.

Und dann kommt Jesus. Aus diesem Volk.

Dem erstgeliebten Volk Gottes.

Der befreit die Menschen von Krankheit und Ausgrenzung

und allem anderen, was Menschen einander antun mit ihrem Haß,

diesem kleinen, erbärmlichen, kranken Haß.

 

Da sehe ich Gottes Hand.

Nicht da, wo die einen die anderen klein machen,

einsperren, wegschubsen.

Keineswegs da, wo die einen die anderen nicht haben wollen.

Sondern da, wo Grenzen aufgehen und Freiheit kommt.

 

Das ist mein Kriterium dafür, wo Gott handelt – und wo nicht.

Gott ist da, wo die Freiheit groß wird.

 

Und überall da, wo die Freiheit klein gemacht wird,

da ist der Mensch am Werk.

Der Mensch. Ohne Gott.

 

IV. Wandelgeschichten

Und dann liege ich auf meinem Sofa.

Zur Mittagspause oder abends.

Es ist inzwischen zerschlissen.

Es muß mal neu bezogen werden.

Das werden wir auch machen.

 

Von diesem Sofa ist eigentlich nichts mehr übrig:

Dreimal neu bezogen, Beine ab, Bezug ab,

mehrmals neues Outfit, je nach Zeitgeist,

eigentlich ist nur noch der Rahmen übrig.

 

So ist das mit der Welt. Und mit unseren Sofas.

Und mit der Zeit.

 

Das alte Sofa will ich nicht wieder. Um keinen Preis.

 

Wißt Ihr was?

Ich will es genau so, wie es geworden ist.

Ich will nicht das plüschige Kaiserzeitsofa zurück,

schon gar nicht das graue mit den roten Karos

aus finsteren Dreißgerjahren,

und auch nicht das heimelige aus DDR-Zeiten.

 

Ich weiß, auf jedem dieser Sofas

würden es sich einige heute gern bequem machen.

Die einen wollen es schwarz-weiß rot,

die anderen dunkelrot, andere nur schwarz oder gelb,

und manche hätten es gern braun,

auch, wenn sie behaupten,

das neue Braun sähe eigentlich blau aus.

 

Ich werde mein Sofa neu beziehen lassen.

Es soll bunt werden.

Mit allen Farben.

Am liebsten Regenbogen.

Nur braun darf  nicht dabei sein.

Das sind ja schon die häßlichen, klotzigen Beine,

die man in der Nazizeit drangeschraubt hat.

Ansonsten: Gern alle Farben.

 

VI. Rahmengeschichten

Und dann leg’ ich mich auf mein altes Sofa.

Das, wo eigentlich nur noch der Rahmen übrig ist.

Trotzdem: Ich kann darauf liegen.

Egal, welche Polster und welcher Bezug:

Der Rahmen ist noch da.

Und der Rahmen ist Gott.

 

Wir haben das ja vorhin gehört in der Lesung:

 

»Gott, die Welt ist vor dir wie ein Stäublein an der Waage

und wie ein Tropfen des Morgentaus, der auf die Erde fällt.
Aber du erbarmst dich über alles,

… denn du liebst alles, das da ist, …

denn du hast ja nichts bereitet, dagegen du Haß hättest.

Du schonst aber aller; denn sie sind dein, o Herr,

du Liebhaber des Lebens.«

 

»Gott, du Liebhaber des Lebens …«.

»Ich weiß schon. Wir machen allerlei mit der Welt.

Mit unserem Leben.

Mit unseren Sofas.

Aber Du, Gott, bleibst.

Du gibst den Rahmen.

Und auf den leg’ ich mich gern.«

Und das sollte die Welt auch tun.

Amen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,

bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

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