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»Aber ich …« – Gottesdienst zur Jahreslosung aus Lk 6

Ein nachdenklicher Gottesdienst aus Leislau zur Jahreslosung 2021, Lk 6,36,

mit Musik der Naumburger Kurrende.

Zum Anschauen, Hören, Lesen, Mitfeiern und Weitergeben.

»Aber ich …«

Ein Gottesdienst zur Jahreslosung 2021 aus Leislau

am 10.1.2021 für die Onlinekirche Camburg

 

Votum

Im Namen des Vaters

und des Sohnes

und des Heiligen Geistes.

Amen.

 

»Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.«

(Lukas 6,36)

 

Begrüßung

Das ist nun die neue Jahreslosung aus Lukas 6.

 

»Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.«

 

Schön, oder?

Klingt so gut. So einfach.

 

Seid gut zueinander.

Helft. Schaut, was die anderen brauchen.

Tut ihnen wohl.

 

Ist doch selbstverständlich. Oder?

So was machen Christenmenschen halt.

 

Und dann kann man auf die anderen schauen.

Auf die Unbarmherzigen.

Da gibt’s genug davon auf der Welt.

 

Dieses »Corona-Jahr«

hat mir die Augen dafür geöffnet,

das es wirklich Menschen gibt,

die ich böse nennen muß.

 

Also: Einteilen! Ganz einfach.

Hier die Guten – da die Bösen.

Hier die Heiden – da die Christen.

 

Und nein. Das stimmt einfach nicht.

 

Das mit der Barmherzigkeit –

das ist nämlich schwer.

Sehr, sehr schwer.

 

Darüber will ich heute mit Euch

in diesem Gottesdienst nachdenken.

 

Die Musik kommt wieder aus Konzerten

mit der Naumburger Kurrende.

Es sind Lieder, die ich geschrieben habe

nach Worten von Hans-Dieter Hüsch.

 

Musik »Wir alle sind in Gottes Hand«  (Text: H.-D. Hüsch) Musik: Michael Greßler

 

Glaubensbekenntnis

Laßt uns gemeinsam unsern Glauben bekennen.

Ich glaube an Gott,

den Vater, den Allmächtigen,

den Schöpfer des Himmels und der Erde,

und an Jesus Christus,

seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria,

gelitten unter Pontius Pilatus,

gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

er sitzt zur Rechten Gottes,

des allmächtigen Vaters,

von dort wird er kommen,

zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,

die heilige christliche Kirche,

Gemeinschaft der Heiligen,

Vergebung der Sünden,

Auferstehung der Toten

und das ewige Leben.

Amen.

 

Predigt

 

Den Gottesdienst heute schicke ich Euch aus meinem Amtszimmer.

Von meinem Schreibtisch.

Da, wo ich so viel sitze.

Ich lese und schreibe. Bete auch.

Und ich schau, was in der Welt so los ist.

 

Das seh’ ich im Internet.

Das spült mir die ganze Welt in mein kleines Arbeitsstübchen.

 

Das ist großartig.

Was ich da alles schon gelernt habe.

 

Und ich treffe Freunde und Freundinnen beim Facebook.

Denke mit ihnen nach. Teile ein bißchen Leben.

Wir arbeiten zusammen an Texten.

Und so bin ich weit draußen in der großen Welt, obwohl ich in Leislau sitze.

 

Und Jesus sagt:

»Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.«

 

Ach, Jesus, Du hast ja recht.

 

In meinem Computer sehe ich wunderbare Geschichten.

Barmherzige Geschichten.

Und ich sehe und lese grausame Geschichten.

Schrecklich grausame Geschichten.

Geschichten, wo die Hartherzigen Triumphe feiern.

 

Diesen Gottesdienst drehen wir für Euch am 7. Januar.

Und wer gestern nach Washington geschaut hat,

der hat genau das gesehen. Eins zu eins.

 

Ich seh aber auch, wie die Geflüchteten in Griechenland

und in Bosnien schlimmer behandelt werden als Tiere.

Ich lese, wie Leute schreiben:

Die sollen alle im Mittelmeer ersaufen.

Und sie meinen das ernst.

 

Und einmal klingelt das Telefon auf meinem Schreibtisch.

Ich hebe ab, und eine alte Frau aus den Gemeinden sagt:

Warum schickt die Kirche ein Schiff?

Laßt die Messerstecher draußen.

 

Und Jesus sagt:

»Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.«

 

Da  schau ich wieder auf meinen Computer.

 

Gerade hat jemand was von Corona gepostet.

Und wie viele Tote wieder in diesem oder jenem Seniorenheim.

Und verlaßt Euch drauf:

Es gibt doch diese Smilies im Internet:

Also zum Beispiel:

Daumen hoch, das heißt: Gefällt mir, find ich gut,

dann gibt es das Herzchensmilie – das heißt:

Das find ich ganz wunderbar, ich liebe es.

Ein Wutsmilie gibt es auch.

Und es gibt das Lachsmilie.

Das klickt man an, wenn was total lustig ist.

Oder um zu zeigen: Das ist lächerlich.

Ich lach Dich aus. Lachhaft!

Jedenfalls: Wenn jemand was über Menschen postet,

die an Corona gestorben sind,

dann kommen regelmäßig massenweise Lachsmilies.

Manche Leute finden das wohl lächerlich.

Ich nicht. Menschen sterben. Und andere weinen um sie.

Ein Lachsmilie ist da ungefähr so zivilisiert,

als wenn sich ein Horde Asoziale auf dem Friedhof

an den Rand einer Trauergemeinde stellen würden

und schallend lachen.

 

Und Jesus sagt:

»Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.«

 

Ich sitze am Computer.

Und wißt Ihr was?

Die Wut kocht in mir hoch.

Eine riesengroße, namenlose Wut.

Wut über die Unbarmherzigen.

 

Alles ganz einfach?

 

Hier die barmherzigen Christenmenschen –

dort die bösen anderen?

 

O nein, liebe Geschwister. O nein.

 

Das Wort Barmherzigkeit –

so, wie Jesus das sagt auf aramäisch,

und auf griechisch ist es dasselbe,

dieses Wort hat mit dem Bauch zu tun.

Mit dem Mutterleib.

Barmherzigkeit kommt von innen.

Das, was mein innerstes bewegt.

 

Barmherzig bin ich, wenn mir etwas an die Nieren geht.

 

Und dann höre ich in mich selbst hinein.

In meinen Bauch.

 

Da kocht es eben in mir hoch.

Da kommt aus meinem Bauch

manchmal eben nicht Barmherzigkeit.

Sondern diese riesengroße Wut.

 

Bei all den Lachsmilies,

und bei den Wahrheitsverdrehern und Lügenverbreitern.

Und wenn ich sehe, wie Europa Menschen aussperrt

und erfrieren läßt – als Abschreckung für andere.

 

Ich will lieber wütend sein.

Und nicht barmherzig.

Ich möchte sie durchschütteln.

Und dreinschlagen.

Und nicht vergeben.

Und ich schäme mich noch nicht einmal dafür.

 

Und Jesus sagt:

»Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.«

 

Da merke ich eins: Ich bin selber das Problem.

 

»Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.«

 

So glatt. So wahr. So richtig. Wie eine Sonntagsrede.

 

Aber ich?

 

So bin ich nicht. Vielleicht noch nicht.

 

Und da merke ich:

Ich brauche Gottes Barmherzigkeit.

Genau wie die anderen.

 

Ich bin kein Stück besser.

 

Und so barmherzig sein, wie Jesus das will – das kann wohl nur Gott.

Das kann wohl nur der himmlische Vater.

Ich nicht.

 

Der Satz vor der Jahreslosung zeigt mir das.

Da steht:

 

»Denn Gott ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.«

Darum:

»Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.«

 

Barmherzig sein. Das muß ich noch lernen. Üben.

Manchmal will ich es noch nicht einmal.

Und Jesus sagt mir trotzdem: Sei es. Mach es.

 

Und ich, ich kann nur sagen:

Jesus: Hilf mir.

Und hilf mir, es leichter zu nehmen.

Laß mich auch mal gelassen bleiben.

Und lachen, statt zornig sein.

Lehre mich Barmherzigkeit.

Hilf mir, Jesus.

Amen.

 

Musik »Ich male mir mein Leben, Herr« – (Text: H.D. Hüsch) Musik: Michael Greßler

 

Vaterunser

Laßt uns gemeinsam beten, wie Jesus uns gelehrt hat:

 

Vater unser im Himmel.

Geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute

und vergib uns unsere Schuld

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn Dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

 

Segen

So bleibt bewahrt in Gottes Frieden,

in Gottes Liebe, mit seinem Segen.

 

Es segne und behüte uns Gott,

der allmächtige und barmherzige,

der Vater, + der Sohn und der Heilige Geist.

Amen.

 

Musik »Ich bin vergnügt, erlöst, befreit« – (Text: H.D. Hüsch) Musik: Michael Greßler

 

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