»Bibelverkostung« – Camburger Predigt in Eisenach

Hier gibt es einen Videomitschnitt der Predigt

vom 13.2.2022 aus der Eisenacher Georgenkirche –

mit Lukas 9 und der »Flüssigen Kirche«.

Zum Anschauen, Hören, Lesen, Mitfeiern und Weitergeben.

»Flüssige Kirche«

Eine Predigt zur Reihe »Bibelverkostung«

am 13. Februar 2022 in der Georgenkirche Eisenach mit Lukas 9,1-6

 

Gnade sei mit euch, und Friede dem, der da ist und der da war und der da kommt.

 

 

I. Begrüßungssektmomente

Ich trinke gerne Sekt.

Das wissen meine Freunde und Freundinnen genau.

Und wenn welche nach Leislau kommen,

und es gäbe nicht wenigstens

einen kleinen Sekt zur Begrüßung –

sie würden sich sehr verwundern.

Daß der Greßler gerne Sekt trinkt, ist sprichwörtlich.

Und wenn wir das zusammen machen,

dann sind das manchmal so kleine, perfekte Momente.

 

II. Lukas-Evangeliums-Momente

Aus dem Lukasevangelium im achten Kapitel:

 

Jesus rief die Zwölf zusammen

und gab ihnen Gewalt und Macht über alle bösen Geister

und daß sie Krankheiten heilen konnten

und sandte sie aus, zu predigen das Reich Gottes

und zu heilen die Kranken.

 

Und er sprach zu ihnen:

Ihr sollt nichts mit auf den Weg nehmen,

weder Stab noch Tasche noch Brot noch Geld;

es soll auch einer nicht zwei Hemden haben.

Und wo ihr in ein Haus geht, da bleibt

und von dort zieht weiter.

Und wenn sie euch nicht aufnehmen,

dann geht fort aus dieser Stadt

und schüttelt den Staub von euren Füßen

zum Zeugnis gegen sie.

 

Und sie gingen hinaus und zogen von Dorf zu Dorf,

predigten das Evangelium und heilten an allen Orten.

 

III. Textmomente

Zusammengerufen.

Mit Kraft ausgestattet und mit einer Mission.

Und dann ausgesandt:

 

»Geht!

Geht mit nichts!

Nur das Allernötigste.

Keine Tasche. Kein Geld. Kein Brot.

Kein Wanderstab. Nur ein Hemd.

Auf keinen Fall Vorrat!

Geht hin.

Und dann bleibt.

Wenn es gut geht, bleibt eine Zeit.

Sagt ein Wort.

Und wenn möglich, macht irgendwas wieder heil.

Und geht dann weiter.

 

Und wenn sie Euch nicht aufnehmen,

dann schüttelt den Staub von Euren Füßen.

Und geht gleich.«

 

So funktioniert Kirche.

 

IV. Kirchenmomente

Kirche ist wie Sekt trinken …

Und Sekt trinkst Du nicht immer.

Vielleicht sogar selten.

Jedenfalls in besonderen Momenten.

Und besondere Momente sind eben nicht immer.

Deshalb sind es ja besondere Momente.

 

Sekt kannst Du auch nicht stehen lassen.

Sekt bleibt nicht.

Dann wird er schal und eklig.

Und meistens wird er ja auch gleich ausgetrunken –

diese eine Glas im besonderen Moment.

Oder dann eben weggeschüttet.

 

Getrunken oder ausgegossen.

Jedenfalls ist er dann weg.

 

So funktioniert Kirche.

 

V. Perfekte Momente

Das merke ich immer mehr in all den Jahren,

in denen ich Pfarrer bin.

Und ich bin’s gern, mindestens so gern, wie ich Sekt trinke.

 

Es kommt auf diese besonderen Momente an.

Davon lebt Kirche. Genau von diesem Besonderen.

Von diesen Momenten wie Sekt:

Wo man miteinander anstößt und glücklich ist,

alles paßt und alles ist schön.

Oder wie auch immer so ein perfekter Moment aussieht.

Das kann auch ganz ohne Sekt sein.

Mit was ganz anderem –

einfach nur der Moment, wo Du spürst –

Du und alle anderen: Das war jetzt richtig so.

So soll Kirche sein.

Ich weiß solche Momente. Und Ihr ganz bestimmt auch.

 

Das war ja bei Jesus und den Seinen ja auch so:

»Ich sende Euch. Geht hin!

Nehmt nichts mit! Ihr braucht nichts weiter.

Und dann bleibt.
Wenn es gut geht, eine Zeit.

Laßt es gemeinsam zum perfekten Moment werden.

Sagt Euer Wort. Heilt etwas.

Und dann geht weiter.«

 

So funktioniert Kirche.

 

VI. Momente sind Momente

Kirche ist Kirche auf Zeit. Nie auf Dauer.

Kirche ist mal hier, mal da …

und dann ist sie auch mal wieder weg.

Kirche kommt und Kirche geht.

Sie ist mal groß und mal klein.

 

Kirche ist kein Festkörper –

Kirche ist flüssig.

Und das macht nichts.

Denn manchmal –

manchmal prickelt sie eben wie Sekt.

Da paßt alles. Und es wird groß.

Das sind dann die Momente,

von denen die Kirche lebt.

 

Und wenn wir schon »Bibel verkosten«

hier in St. Georgen zu Eisenach,

dann mag ich auch an Martinus denken

und an sein Exil da oben auf der Burg

und an seine Bibelübersetzung –

genau in diesen Wochen vor fünfhundert Jahren.

Der hat das nämlich auch gewußt,

das mit den perfekten Momenten, und schreibt:

 

»Liebe Leute, kauft, solange der Markt vor der Türe ist,

sammelt ein, solange Sonnenschein und gut Wetter ist,

braucht Gottes Gnade und Wort, solange es da ist!

Denn das sollt ihr wissen:

Gottes Wort und Gnade ist ein fahrender Platzregen,

der nicht wieder dahin kommt, wo er einmal gewesen ist ...

Drum greift zu und haltet fest,

wer greifen und halten kann!«[1]

 

So funktioniert Kirche

 

VII. Veränderungsmomente

Ich weiß, wovon ich rede.

Seit über fünfundzwanzig Jahren bin ich nun Pfarrer

auf einem Stück Land zwischen Naumburg und Jena.

Und da ist heute nichts mehr, wie es damals war.

Garnichts mehr.

 

Wir waren mal zehn Kolleginnen und Kollegen –

nun sind wir noch zwei.

Ich hatte mal fünf Gemeinden,

nun habe ich eine kleine Stadt und vierunddreißig Orte.

 

Und ja, vieles hat aufgehört. Manches ist gestorben.

Ich wohne immer noch im selben Haus –

aber ich lebe in einer anderen Welt

und in einer anderen Kirche.

 

Oder diese Kirche, dieses Haus hier –

Sankt Georgen in Eisenach.

 

Ich bin ja ein »Thüringer Gewächs«,

und das hier war mal unsere Bischofskirche …

als ich fünf war, saß ich da oben mit meinen Eltern,

als Landesbischof Braecklein eingeführt wurde –

sehr feierlich und solenn, das weiß ich noch heute.

Und inzwischen ist hier keine Bischofskirche mehr.

Es ist eine gewöhnliche Stadtkirche,

immerhin in der Lutherstadt am Fuße der Wartburg.

Aber so mancher Glanz ist weg.

 

Und der da so solenn als Bischof eingeführt wurde,

war schon 1933 freiwillig in die NSDAP

und in die SA eingetreten,

später hat er als »IM Ingo«

unliebsame Pfarrer an die Staatssicherheit verraten.

 

Davon ist nichts geblieben, Gott Sei Dank.

Wo Kirche glänzt und etwas zu sein scheint,

muß sie noch lange nicht richtig sein.

Gilt übrigens auch heute.

 

Und dann kam noch »Corona«.

Und ich weiß, vielen fällt das alles schwer.

Die Kraft reicht manchmal nicht.

Und Kirche wird verzagt.

Und ich höre: »Immer kleiner, immer weniger …

und ach und ach und ach«.

 

VIII. Kraftmomente

Wißt Ihr was: Ich mache da nicht mit.

 

Denn ich weiß auch was anderes:

Kirche ist nunmal flüssig. Da ändert sich immer alles.

Manches stirbt.

Um manches davon ist es bitterschade.

Und bei manchem ist es gut, wenn’s stirbt.

 

Aber dazwischen – dazwischen gibt es diese Momente,

wo sich meine Kirche anfühlt, wie Sekt trinken.

Diese wunderbaren Momente, wo es stimmt.

Da wo Kirche sich wirklich »er-eignet«.

 

Wo Du mit eigentlich nichts hinkommst –

das hat Jesus ja gesagt:

»Geht ohne Vorrat, es wird reichen«.

Du kommst mit nichts – und ja, es reicht.

Und es ist mehr als genug.

Meistens viel mehr als ich je gedacht habe.

Und viel mehr, als wenn ich versuche,

den Status Quo zu halten.

Und klar, es braucht Konzepte,

Strategien, kluges Denken.

Muß alles sein.

 

Aber das macht keine Kirche.

Wo es Kirche um die Selbsterhaltung geht,

da hat sie schon verloren.

Manchmal und an manchen Orten

verschwindet Kirche halt einfach.

 

Stattdessen sehe ich diese Momente –

landauf landab, grade in Coronazeiten –

wo plötzlich unglaublich kreative Dinge passieren,

wo Kirche sich neu erfindet …

wo sie zu den Menschen geht –

ohne was, ohne Vorrat –

aber mit dem einen Wort:

Dem Wort, von dem wir leben.

Und wo sie dann womöglich was heil macht.

 

Und ich sehe Sankt Georgen in Eisenach …

längst keine Bischofskirche mehr …

aber ein Haus, wo Ihr ein Jahr lang

die »Bibel verkostet« –

mit Predigerinnen und Predigern aller Couleur.

Und ich merke: Da ist Kirche, wie sie richtig ist.

Quicklebendig – lebendiger jedenfalls,

als so mache Bischofskirche vergangener

und gegenwärtiger Zeiten.

 

Da geschieht Kirche.

Da, wo es für den Moment stimmt.

Sie bleibt eine Weile, wenn es gut geht.

Für diesen gemeinsamen perfekte Moment.

Der reicht dann lange – auch für die Mühen der Ebene.

Nächsten Sonntag mache ich weiter damit

und fahre wieder über meine Dörfer und in die kleine Stadt.

 

So funktioniert Kirche.

 

IX. Hoffnungsmomente

Und Jesus ruft die Seinen zusammen.

Er gibt ihnen eine Mission.

Und er gibt ihnen Kraft.

Und er sagt:

»Geht. Geht ohne was.

Bleibt eine Zeit, wenn möglich.

Sagt Eure Sachen und macht heil, was Ihr heilen könnt.

Und dann geht weiter.

Das genügt. Und das wird gut.«

 

Liebe Geschwister,

bleibt gelassen.

Und bleibt fröhlich und neugierig.

Es wird perfekte Momente geben.

Momente, wie Sekt.

Trinkt gerne auch mal ein Glas zusammen.

Und vertraut auf Jesus.

Der weiß schon, wie Kirche funktioniert.

 

Ich mach’ das so.

Kommt Ihr mit?

Kommt Ihr mit – mit der flüssigen Kirche?

 

Amen.

 

 

Der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft,

bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.



[1] WA 15, S. 32

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Kommentare: 1
  • #1

    Kerstin Franz (Dienstag, 15 Februar 2022 16:24)

    Ach deshalb "Flüssige Kirche ". Also das war wieder einmal eine sehr interessante Predigt . Genauso wie es eben ist. Ich höre sie immer wieder gern predigen. Sie bringen auch immer diese Herzenswärme und Vertrautheit mit ihren Worten herüber. Danke sehr Herr Pfarrer . Auch ist das eine hübsche Kirche in Eisenach. Die Kanzel finde ich toll. Mit freundlichen Grüßen Kerstin Franz .