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»Es wird von den Menschen guten Willens erzählt werden«

Die Predigt zum Brandfest 2020 in Prießnitz.

Zum Anschauen, Anhören und Lesen.
Dazu noch einige Bildimpressionen.

»Es wird von den Menschen guten Willens erzählt werden«

Eine Predigt zum Brandfest am 16. Oktober 2020 auf dem Angstplatz in Prießnitz

 

Die Gnade unsers Herrn Jesus Herrn Jesus Christus

und die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft

des Heiligen Geistes

sei mit euch allen!

 

I. Was steht drin?

Wie mag es gewesen sein, damals in Prießnitz?

Ich lese das Brandbüchlein. Jedes Jahr wieder.

Und zwischendurch auch manchmal.

Ich erzähle die Geschichte Freunden, die mich fragen,

was denn »Angstplatz« für ein merkwürdiger Name sei.

Ich erzähle von der Katastrophe.

Die ist genau beschrieben.

Zeitzeugenbericht.

Die vielen kleinen Details. Die Angst.

 

Aber ich lese im Brandbüchlein noch etwas anderes.

Ich lese da so viel Gutes.

Von Nachbarn, die geholfen haben.

Von Nachbarn aus anderen Dörfern.

Von Nachbarinnen und Nachbarn hier im Dorf.

In der Not war eine für den anderen da.

 

Hat es damals gar keine Egoisten gegeben?

Gab es keine Leute, die gesehen haben,

wie sie durchkommen?

Gab es niemanden, der andere übers Ohr gehauen hat?

Niemand, der seinen eigenen Vorteil gesucht hat?

 

Doch, die hat es bestimmt gegeben.

Aber sie stehen nicht im Brandbüchlein.

Sie stehen nicht in den Geschichtsbüchern.

Die Geschichte ist über sie hinweggegangen.

Sie sind vergessen worden.

 

In den Geschichtsbüchern – und im Brandbüchlein –

da stehen die Rücksichtsvollen.

Da stehen die, die sich umeinander gekümmert haben.

Da stehen Helferinnen und Helfer.

Menschen, die aufeinander aufgepaßt haben.

Die für die anderen da waren.

Leute, die Herzen und Hände füreinander geöffnet haben.

Die, die das gemacht haben,

was im Grunde selbstverständlich sein sollte –

und was es doch nicht ist:

Einer für die andere. Nicht jeder für sich selbst.

 

»Seid aber untereinander freundlich und herzlich

und vergebt einer dem andern,

wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.«

 

So steht’s im Epheserbrief im vierten Kapitel,

und das ist aus dem Bibeltext

für die Predigt am nächsten Sonntag.

 

II. Was ist der Mensch?

»Edel sei dem Mensch, hilfreich und gut.«

Hat Herr Goethe gesagt.

Hehre Worte.

Er hat sie übrigens in derselben Zeit gesagt,

als die Katastrophe über unser Dorf gegangen ist.

die Katastrophe von Brand und Mord.

Aber eben auch die Geschichte

von Barmherzigkeit und Verschonen.

 

Und nein.

Der Mensch ist eben nicht nur edel, hilfreich und gut.

Selbst Goethe, der dem Menschen

für meine Begriffe

mehr Gutes zugetraut hat, als im Menschen steckt,

selbst er sagt nicht:

»Edel ist der Mensch, hilfreich und gut.«

Er sagt nicht ist, sondern sei.

Und ich glaube, in diesem kleinen Konjunktiv

steckt das Wissen,

daß es eben nicht so ist, wie es sein soll.

 

III. Wie wird es was?

Und nun schreiben wir das Jahr 2020.

Wir feiern ein völlig anderes Brandfest, als es je war.

Und keiner und keine hätten sich das

vor einem Jahr so vorstellen können.

Aber jetzt ist es so.

 

Trotzdem feiern wir Brandfest.

Und wir machen das Beste daraus.

Das erlebe ich in unserem Land.

Und auch hier in unseren Orten.

Ich erlebe viel Rücksichtnahme. Gute Ideen. Gemeinsinn.

Das ist die eine Seite.

 

Die andere ist die:

Ich habe noch nie mehr bösartige Töne,

Aggression in Diskussionen, Haß und Hetze erlebt

als in diesen Zeiten – und die begannen nicht mit Corona,

sondern seit mindestens fünf Jahren.

Haß und Aggressionen und Verrohung der Sprache.

Das kommt aus einer

ganz bestimmten gesellschaftlichen Ecke.

Sie geben sich als Verteidiger der Freiheit.

Da ist sogar etwas Wahres dran.

Sie verteidigen die Freiheit – aber nur ihre eigene.

Sie verteidigen die Freiheit der Meinung –

aber nur der, die sie selbst haben.

Sie verdrehen Fakten und verbreiten Lügen.

Sie tun so, als ob es gar keine Wahrheit gäbe,

sondern nur verschiedene Meinungen.

Und behaupten dann noch,

man dürfe ja seine Meinung nicht sagen –

obwohl sie sie selbst am lautesten herausplärren.

 

So wird das nichts.

 

Wenn es gut werden soll,

dann muß nämlich beides stimmen:

Meine Meinung im Gespräch mit anderen Meinungen.

Mein Wissen im Diskurs mit anderem Wissen.

Meine Freiheit in Rücksicht auf die Freiheit der anderen.

Wenn meine Meinung und meine Freiheit

andere verächtlich machen, beschimpfen, verspotten, ausgrenzen –

oder wenn meine Freiheit

die Freiheit der anderen kaputtmacht –

dann läuft mit beidem etwas gehörig schief.

 

Wenn es gut gehen soll,

dann muß das Ich und das Du ins rechte Maß.

 

Gott hat mich ja gemacht als sein geliebtes Kind.

Und Euch alle auch.

Aber die anderen eben auch.

Deshalb geht es nur gemeinsam.

 

IV. Was ist das Fundament?

Nun könnten man ja sagen:

Der Pfarrer predigt heute lauter soziale Sachen.

Daß man gut miteinander sein soll und sowas.

Das hat schon Goethe gewußt.

Und das ist nun nicht das Herz des Christentums

und die Mitte des Evangeliums.

 

Die Mitte des Evangeliums ist die Liebe Gottes,

und daß Jesus gesagt – und gemacht hat! – :

Ich sterbe für die anderen.

Ich gebe mich. Um Euretwillen.

Das ist die Mitte des Evangeliums.

 

Und nein, das Evangelium von Jesus Christus

ist kein Sozialprogramm.

Es erschöpft sich keineswegs im Sozialverhalten.

Aber es ist die Basis des Sozialverhaltens.

 

V. Was wird man aufschreiben?

»Seid aber untereinander freundlich und herzlich

und vergebt einer dem andern,

wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.«

 

Daran wird man uns messen,

liebe Geschwister, liebe Prießnitzerinnen und Prießnitzer.

Wenn in 50, 100 und 150 Jahren

wieder das Brandbüchlein herausgegeben wird –

es wird fortgeschrieben werden,

so, wie es bisher immer war –

Was wird dann darin stehen?

 

Es wird darin stehen, wie wir miteinander waren.

Es wird darin stehen,

daß wir am Ende zusammengehalten haben.

So, wie es in den Brandbüchlein

seit zweihundertdreizehn Jahren steht.

 

Über die Eigensüchtigen,

über die Spalter und Hasser und Lügenverbreiter,

über sie wird die Geschichte hinweggehen.

Sie werden vergessen werden.

So, wie sie in den letzten vier Brandbüchlein

keine Rolle mehr spielen.

 

Es wird derer gedacht werden, die barmherzig waren.

Die aufeinander achtgaben.

Die nicht zuerst gedacht haben: »Ich!«, sondern: »Du!«.

Die Rücksichtsvollen und Gemeinschaftsmenschen.

Und die bereit waren, einander zu vergeben.

In den Brandbüchlein der nächsten Jahrzehnte

und Jahrhunderte, da wird von ihnen die Rede sein:

Von den Menschen guten Willens.

 

»Seid aber untereinander freundlich und herzlich

und vergebt einer dem andern,

wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.«

Amen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,

bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

 

Gebet

O Herr,

mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,


daß ich Liebe übe, wo man sich haßt;


daß ich verzeihe, wo man sich beleidigt;


daß ich verbinde, da wo Streit ist;


daß ich die Wahrheit sage, wo der Irrtum herrscht;


daß ich Glauben bringe, wo der Zweifel drückt;


daß ich die Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;


daß ich ein Licht anzünde, wo die Finsternis regiert;


daß ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.


O Herr, laß du mich trachten:


Nicht, daß ich getröstet werde, sondern daß ich tröste;


nicht, daß ich verstanden werde, sondern daß ich verstehe;


nicht, daß ich geliebt werde, sondern daß ich liebe.


Denn wer da hingibt, der empfängt;


wer sich selbst vergißt, der findet;


wer verzeiht, dem wird verziehen,


und wer da stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.

Amen.

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